Die zwei Gesichter des Abed Hassan (2024)

Die zwei Gesichter des Abed Hassan (1)

Der 27-jährige Berliner Abed Hassan wird seit Beginn des Gaza-Krieges von TV-Sendern als „deutsche Stimme aus Gaza“ präsentiert. Kurz zuvor hatte er noch davor gewarnt, sich aus etablierten Medien über den Nahostkonflikt zu informieren.

„Die Leute hier brauchen kein Mitleid. Sie brauchen eine Stimme, welche ihre Botschaften in die Welt befördert. Beschäftigt euch mit der Lage und informiert euch unabhängig der gängigen Medienhäuser.“ Mit diesen Worten richtete sich der Deutsch-Palästinenser Abed Hassan Mitte Oktober dieses Jahres in einer Instagram-Story an seine Follower. Kurz darauf machten ihn „gängige“ Fernsehsender wie ARD, ZDF, Arte und RTL einem Millionenpublikum bekannt. In der Arte-Sendung Tracks East wurde er als „deutsche Stimme aus Gaza“ vorgestellt.

Das trifft es ganz gut. Mangels eigener Korrespondenten im Kriegsgebiet griffen deutsche TV-Sender gerne auf Hassans Videos und Augenzeugenberichte zurück. Als Berliner, der gemeinsam mit seiner Mutter wenige Tage vor den Hamas-Massakern am 7. Oktober zu einem Verwandtenbesuch nach Gaza gereist und nun unversehens den israelischen Angriffen ausgesetzt sei, wurde er den Zuschauern vorgestellt. Auch nach seiner Rückkehr nach Berlin am 13. November ist er ein begehrter Gesprächspartner für die Medien geblieben.

Bei Lanz: Ein friedliebender Mensch, der nichts mit Politik am Hut hat

Am 13. Dezember war Abed Hassan zu Gast beim Jahresrückblick von Markus Lanz, zusammen mit der Israelin Laura Kadar Blajman, die den Terrorangriff auf das Nova-Festival überlebte. Zwei friedliebende Menschen, Opfer der großen Politik, die dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen waren, so lautete das Narrativ. Hassan gab sich, wie schon bei seinen Fernsehauftritten zuvor, als vollkommen unpolitischer Mensch, der gar nicht fassen kann, was ihm, seinen Nachbarn, Freunden und Verwandten widerfährt. Als er nach einigen Tagen realisiert habe, „was passiert ist“, sei er „extrem schockiert gewesen und traurig“, sagte er, offenbar bezogen auf das Pogrom vom 7. Oktober, ohne es direkt beim Namen zu nennen.

Jeder getötete Mensch sei einer zu viel. Ein Onkel habe ihm gesagt, der Krieg werde nicht aufhören, „bevor fünfmal so viele Palästinenser getötet worden sind wie Israelis“. Gegen Ende seines Auftritts berichtete er über das schwere Los seiner Verwandten im Gazastreifen und plädierte für ein Ende der „Flächenbombardierung“. Im Übrigen sprach er sich für Frieden und Gerechtigkeit aus.

Friedliebend, emotional und politisch unbedarft gab sich Hassan auch bei seinen vorangegangenen TV-Auftritten. Ein 27-jähriger Berliner Uhrmacher, der in seiner Freizeit Radtouren unternimmt, und nun mit weit aufgerissenen Augen die von einem Raketeneinschlag verwüstete Wohnung seines Cousins durchschreitet. „Es geht mir nicht um den Ort an sich. Es geht mir gar nicht um ein Stück Land, das interessiert mich gar nicht. Ich mag keinen Nationalismus. Mir geht es um Gerechtigkeit, um Menschlichkeit und Gerechtigkeit“, sagt Hassan bei Tracks East in die Kamera. Er wolle nur auf das Leid der Menschen aufmerksam machen. Vor dem Hintergrund des mutmaßlich von einer Rakete zerstörten Nachbarhauses ruft er: „Ich hab grad selbst eine Frau rausgezogen, die hat geatmet, die hat geatmet. Das ist Gaza, Das ist Gaza. Verdammt! Was können wir für diese Scheiße, Mann?“

Die zwei Gesichter des Abed Hassan (2)

Bei all der zunächst verständlich erscheinenden Gefühligkeit mutet es doch ein wenig merkwürdig an, dass in Hassans Wortschatz die Begriffe „Israel“ und „Hamas“ nicht vorzukommen scheinen. Warum Hassan niemals die Hamas erwähnt, versucht die Stimme aus dem Off im ARD-Politmagazin Panorama wie folgt zu erklären: „Unter der Hamas gibt es keine Pressefreiheit. Abed ist kein Journalist, aber er filmt, solange die Hamas ihn nicht stoppt.“ In einem Interview nach seiner Rückkehr nach Berlin fragte Panorama ihn, wie er dazu stehe, was am 7. Oktober passiert sei, „dass auf der anderen Seite der Grenze ZivilistInnen entführt wurden und auch getötet wurden“ – man beachte die windelweiche Wortwahl. Hassans Antwort: „Jedes Vergehen an Zivilisten ist unakzeptabel, unakzeptabel. Und das ist eine rote Linie und die darf man nicht überschreiten.“ Und nach seiner Haltung zu den Gegenangriffen Israels gefragt: „Wenn mir jemand ein Unrecht tut, heißt das nicht, dass ich ihm auch Unrecht tun kann. Unrecht wird nicht mit Unrecht bekämpft.“

Auf Instagram: Ein glühender „I.r.e.l.“-Kritiker

Nun muss man dazu wissen, dass es in gewissen Kreisen üblich ist, alle Israelis als „Siedler“ zu bezeichnen, die das den Palästinensern gestohlene Land zur Not auch militärisch verteidigten und daher nicht als Zivilisten zu betrachten seien. Ob auch Hassan so denkt, wissen wir nicht. Seine Äußerungen bei Lanz scheinen dagegen zu sprechen. Was wir jedoch wissen, ist, dass Hassan alles andere als unpolitisch ist. Wenn er in seinen Instagram-Stories Israel erwähnt, dann meist als „I.r.e.l“ oder „A.artheid.taat“.

In einem Beitrag vom 13. Oktober 2021 setzt er Israel mit dem Satan gleich. Zunächst zitiert er eine Koransure, in der der Teufel zu Gott spricht: „Ich bin besser als er. Du hast mich aus Feuer erschaffen und ihn aus Lehm“. Dann fährt Hassan das ganze Arsenal des modernen Antisemitismus auf: „Apartheid und damit Hochmut ist das größte Verbrechen der Menschheit.“ Hochmut äußere sich in purer Menschenverachtung und resultiere in „unkontrollierten Massakern“. Wir seien Zeugen eines Systems, „welches eine Volksgruppe als Auserwählte sieht, während die anderen niedergeschmettert werden“. Das unaussprechliche Israel sei ein Staat, „der Palästinenser wie Tiere behandelt sie vertreibt, sie ermordet und sie gesetzlich diskriminiert. Ein Staat der wenn die Welt nicht zuschauen würde nicht zögern würde alle Palästinenser auf einen Blick auszurotten. Ein Staat der das Leiden der Juden in Europa dafür ausgenutzt hat seine Massaker gegenüber den Muslimen zu rechtfertigen.“

Nun könnte Hassan inzwischen seine Haltung zu Israel geändert haben. Es spricht allerdings wenig dafür. Im Juli 2022 behauptete Hassan auf seinem Instagram-Kanal, Gaza würde „vor Reichtum sprudeln“ und „alle Probleme hier wären gelöst“, wenn die Palästinenser nicht „durch die Belagerung künstlich klein gehalten“ würden. Es stehe schon in dem 1895 erschienenen Buch „Der Judenstaat“ von Theodor Herzl, „dass die Bevölkerung mittellos sein muss und ein Leben am Limit leben soll, sodass sie nur noch ans Überleben denken können und somit aufhören an ihr Rückkehrrecht und Palästina zu denken“. Selbstverständlich hat Herzl, der Begründer des Zionismus, so einen Unfug nie von sich gegeben. In einem Video vom 13. Dezember dieses Jahres wiederholt Hassan seine Behauptung, für die Armut im Gazastreifen sei Israel verantwortlich. Die Wirtschaft in Gaza werde „künstlich kleingehalten“.

Die Geiseln sollen erfahren, wie schwer es die Palästinenser erst haben

Hassans Berichte auf Instagram zum aktuellen Konflikt setzen am 13. Oktober ein. Einen Tag zuvor nahm die Redaktion von RTL Extra nach eigenen Angaben erstmals Kontakt mit ihm auf. Auf seinem Instagram-Kanal gibt er sich genauso überrascht über die israelischen Angriffe ab dem 7. Oktober wie in seinen TV-Interviews. Das von der Hamas verübte Pogrom erwähnt er an keiner Stelle, ebenso wenig die in den Gazastreifen verschleppten Geiseln. Nur an einer Stelle in einer sehr umfangreichen Instagram-Story ist, ohne Kommentar, ein Flugblatt zu sehen, auf dem die IDF Belohnungen für Hinweise auf den Verbleib der Geiseln in Aussicht stellt. Auch in seinen zahlreichen TV-Interviews ist von den Geiseln nie die Rede. Erst in einem, anlässlich seines Auftritts bei Lanz, in mehreren Tageszeitungen veröffentlichten Artikel kommt dieses Thema zur Sprache. „Er habe in Gaza auch an die israelischen Geiseln denken müssen“, heißt es darin. „Ich hätte mich am liebsten zu ihnen gesetzt und ihnen mein Beileid ausgesprochen. Und dann hätte ich ihnen erzählt, wie es uns geht. Dass wir genauso Menschen sind wie sie.“ Wie die Geiseln wohl darauf reagiert hätten?

Dass Hassan vornehmlich an die Palästinenser denkt, mag verständlich erscheinen. Dass er die Hamas nie erwähnt, wird erst verstehbar, wenn man seine Haltung zu Israel kennt. Aus eben diesem Grund erwähnt er wohl auch in sämtlichen TV-Beiträgen, an denen er mitgewirkt hat, niemals direkt Israel. Für die Medienkonsumenten, denen Hassans politische Haltung verborgen bleibt, entzieht sich deshalb aber nicht Israel der Wahrnehmung, sondern nur die Hamas. Wenn er etwa davon spricht, dass Menschen auf der Flucht in den Süden beschossen würden, dann erscheinen israelische Soldaten als die Täter, auch wenn sie nicht genannt werden.

Für Hassans Instagram-Fangemeinde ist ohnehin alles klar. So behauptet Hassan etwa in einem seiner Selfie-Videos, es habe ja niemand ahnen können, dass die „israelische Besatzung“ das Al-Schifa-Krankenhaus angreifen würde. „Das ist ein Krankenhaus …, nichts ist sicher in Gaza!“ Dabei weiß in Gaza jeder, dass die Hamas die Keller unter der Klinik seit langem als Hauptquartier und Folterkeller nutzt. Am 18. Oktober hatte Hassan bereits die Explosion auf dem Parkplatz des Al-Ahli-Krankenhauses tags zuvor genutzt, um Israel zu unterstellen, gezielt Zivilisten anzugreifen. Dass diese Explosion sehr wahrscheinlich durch eine fehlgezündete Rakete einer islamistischen Terrorgruppe ausgelöst wurde, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Bemerkenswert ist jedoch, dass er von mehr als 600 Todesopfern spricht, obwohl selbst die der Hamas unterstellte Gesundheitsbehörde nur von knapp 500 Toten sprach. Zwei Wochen später behauptete er bei ZDF heute, es seien mehr als 1.000 gewesen.

Wenn gemachte Authentizität die Wahrnehmung vernebelt

Solche Fehlinformationen und Übertreibungen finden sich in den Videoschnipseln aus Hassans Instagram-Fundus, die von deutschen TV-Sendern ausgestrahlt wurden, nur selten. Gerade deshalb vermitteln diese Berichte eine Authentizität und Unparteilichkeit, die mit dem wahren Hassan wenig gemein haben. Wenn bei Panorama von einem „Krieg, der Kinder und Unschuldige trifft“ gesprochen wird, tritt Hassan als Zeuge auf: „Ihr wollt nicht sehen, was ich grad sehe. … Komplette Zerstörung. Ein ganzer Wohnblock. Das, was in Berlin der Kudamm wäre oder in Düsseldorf die Kö. Die Hefte der Kinder, die hier gewohnt haben.“ Dass Hassan jene Kinder gelegentlich als „Märtyrer“ bezeichnet, erfahren die Zuschauer nicht. In derselben Instagram-Story berichtet Hassan auch über einen entfernten Verwandten, der von der IDF angerufen worden sei, da sein Haus bombardiert werden sollte. Bereits bei seinem Besuch in Gaza im Mai 2023 hatte er angemerkt, dass die IDF Wohnhäuser angreife, um darin befindliche Personen gezielt zu töten.

Doch warum hielten sich in der zweiten Oktoberhälfte überhaupt noch so viele Menschen in ihren Wohnungen im Norden des Gazastreifens auf, nachdem Israel wiederholt alle Bewohner von Gaza-Stadt aufgefordert hatte, sich in sichere Gebiete im Süden zu begeben? Und warum blieb Hassan bis zuletzt dort, zumal er sich, um ausreisen zu können, ohnehin zum Grenzübergang Rafah am Südrand des Gazastreifens begeben musste? Die Antwort liegt auf der Hand. Doch offen zuzugeben, dass er noch eine Mission zu erfüllen hatte, hätte sein Wehklagen über die angeblich unzureichende Unterstützung der Bundesregierung bei der Ausreise deutscher Staatsbürger aus Gaza unglaubwürdig gemacht.

Vor allem aber hätte es seinen öffentlichen Auftritten die vorgespiegelte Authentizität geraubt. Also sagte Hassan dem heute-journal am 2. November, er bleibe lieber an einem vertrauten Ort bei seiner Familie als in den Süden zu gehen, da auch dort viele „verstorben“ seien und „der Krieg in ganz Gaza stattfindet gleichermaßen“. Kurz zuvor hatte er auf Instagram einen seiner unzähligen „entfernten Cousins“ zitiert, der ihm gesagt habe, die israelischen Flugblätter wie auch die Anrufe dienten nur dazu, die Menschen einzuschüchtern. „Sollte die Armee es wirklich darauf anlegen, hätten sie Krankenhäuser und Schulen bombardiert, um den Leuten zu signalisieren, dass sie ihre Viertel verlassen sollen.“

Man muss das nicht verstehen. Verstehen sollte man aber, dass es unmöglich ist, das Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen neutral darzustellen, indem man den Kontext ausblendet. Wenn die Hamas aus dem Blickfeld verschwindet, spielt das der Terrororganisation in die Karten. Wenn das Pogrom vom 7. Oktober kleingeredet wird, wenn – bei aller berechtigten Kritik – ausgeblendet wird, worum es Israel bei seiner Militäroperation geht, wenn mit keinem Wort erwähnt wird, dass die Hamas von jeher Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht und es darauf anlegt, möglichst viele „Märtyrer“ zu produzieren, um den Hass auf Israel zu schüren, dann freut sich die Hamas und die Zuschauer werden nicht informiert, sondern eingelullt. Wer dem Leid der Menschen im Gazastreifen gerecht werden will, kommt nicht umhin, die Hamas zu erwähnen.

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